Kosovo - Jahresbericht 2017

Workshop mit Angehörigen der Jugendstrafvollzugsanstalt in Lipjan zur Reform und Modernisierung des Jugendstrafvollzugs
Workshop mit Angehörigen der Jugendstrafvollzugsanstalt in Lipjan zur Reform und Modernisierung des Jugendstrafvollzugs

Rechtspolitische Ausgangslage

Die Republik Kosovo kann auf ihrem Reformweg insbesondere im Justizwesen Fortschritte vorweisen, die auch im aktuellen Fortschrittsbericht der EU aus 2016 entsprechende Anerkennung finden. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass bei der Reform des Rechtsstaats noch weitere Anstrengungen unternommen werden müssen. Auch das im Jahr 2015 unterzeichnete Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Kosovo fördert die weitere Anbindung an die EU. So stellt es ein umfassendes Regelwerk für den weiteren politischen Dialog und die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen dar. Damit konnte die Republik Kosovo, die 2008 von der EU-Kommission unter Hinweis auf die UN-Resolution 1244 (die den endgültigen völkerrechtlichen Status offenlässt) zum potenziellen Beitrittskandidaten erklärt wurde, einen weiteren wichtigen Schritt im Hinblick auf die Annäherung an die EU gehen.

Nichtsdestotrotz steht die junge Republik Kosovo vor enormen Herausforderungen. So ist die innenpolitische Lage nach wie vor fragil. Im Juni 2017 fanden nach einem Misstrauensvotum im Parlament Neuwahlen statt, bei denen die bisher regierende Koalition große Verluste erleiden musste. Die neue Regierung wurde nach zähen Verhandlungen und großen Zugeständnissen an kleinere Koalitionspartner in einem breiten Parteienbündnis mit knapper Parlamentsmehrheit gebildet. Neuer Ministerpräsident ist Ramush Haradinaj, der bereits 2004 für kurze Zeit Ministerpräsident war.

Die Neuwahlen haben ebenfalls zu einem personellen Wechsel im Justizministerium geführt, sodass die von der früheren Justizministerin Hoxha angedachte Justizreformstrategie zunächst noch nicht weiter fortgeführt wurde.

Innen- wie auch außenpolitisch ist nach wie vor die internationale Anerkennung und Unabhängigkeit Kosovos bestimmendes Thema. Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner früheren Provinz nicht an. Der unter Vermittlung der EU seit Jahren geführte Dialog ist allerdings Voraussetzung dafür, dass sich Serbien und Kosovo weiter der EU annähern können. Einige Probleme wurden am Verhandlungstisch gelöst, vieles davon wurde aber bisher nicht umgesetzt.

Konzeption

Kosovo zählt bereits seit 2001 zu den Partnerstaaten der IRZ. Seitdem konnten in den unterschiedlichsten Formaten eine große Anzahl bilateraler Maßnahmen organisiert und erfolgreich umgesetzt werden. Im Rahmen von Workshops, Seminaren, Studienreisen und Diskussionsrunden intensivierte die IRZ über die Jahre ihre bereits bestehenden Kontakte zu Partnern wie dem Verfassungsgericht und dem Obersten Gericht der Republik Kosovo und der Juristischen Fakultät der Universität Pristina. Darüber hinaus arbeitet die IRZ seit 2016 auch mit dem neu gegründeten Hohen Rat für die Staatsanwaltschft (Kosovo Prosecutorial Council) sowie seit 2017 auch mit der kosovarischen Rechtsanwaltskammer zusammen. Schwerpunktmäßig werden mit diesen Partnern die Themen Verfassungsrecht, Europarecht, EGMR-Rechtsprechung und allgemeine Fragen der Organisation (u. a. Fragen der Aus- und Fortbildung der Rechtsanwenderschaft) beraten. Im Berichtsjahr neu hinzugekommen ist zudem der Bereich Jugendstrafvollzugsrecht, der eine weitere Säule in der Zusammenarbeit bildet. Die IRZ berät dabei in Kooperation mit UNICEF Kosovo und dem Justizministerium Strafvollzugspersonal, Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Ziel ist ein ganzheitlicher Ansatz bei der Vermittlung und Umsetzung der Reformen im Strafvollzugsrecht.

Neben der bilateralen Zusammenarbeit implementiert die IRZ derzeit auch Maßnahmen in Form von EU-Twinning-Projekten in Kosovo (s. u.).

Tätigkeitsschwerpunkte 2017

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Seminar zum Thema „Der Europäische Menschenrechtsschutz nach EMRK und EU-Grundrechtecharta“ für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts in Pristina
  • Workshop zum Thema „Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK“ mit Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts in Thessaloniki

Rechtspflege

  • Seminar zum Thema „Öffentlichkeitsarbeit/Umgang mit Medien“ für Angehörige des Kosovo Prosecutorial Council in Gracanica
  • Follow-up-Seminar zum Thema „Öffentlichkeitsarbeit/Umgang mit Medien“ für Angehörige des Kosovo Prosecutional Council in Gracanica

Straf- und Strafvollzugsrecht In Kooperation mit UNICEF Kosovo:

  • Studienreise nach Göttingen zum Thema „Stärkung des Jugendstrafvollzugs in Kosovo“ für Angehörige der kosovarischen Jugendstrafvollzugsanstalt Lipjan
  • Studienreise nach Lipjan zum Thema „Stärkung des Jugendstrafvollzugs in Kosovo“
  • Training zum Thema „Europäische Richtlinien für eine kinderfreundliche Justiz“ für kosovarische Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Pristina
  • Zwei Workshops zum Thema „Die inhaltliche Ausgestaltung des Jugendarrests in Deutschland am Beispiel Niedersachsens, erzieherische Maßnahmen und Programme“ für Angehörige der kosovarischen Jugendstrafvollzugsanstalt Lipjan
  • Studienreise der Kosovo Bar Association nach Berlin zum Thema „Ausund Fortbildung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Bereich Jugendstrafrecht und Kammerrecht“

Aus- und Fortbildung

  • Vorlesung an der Juristischen Fakultät der Universität in Pristina
  • Teilnahme von drei Juristinnen und Juristen an der „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Twinning-Projekt: Further Support to Legal Education Reform  

Die Zielrichtung und die Schwerpunkte dieses Twinning-Projekts sind eng mit der Entwicklung des Justizsektors in Kosovo verbunden. Welche Anforderungen an die Verbesserung der Aus- und Fortbildung zu stellen und welche spezifischen Inhalte dafür aufzubereiten sind, hängt stark vom Verlauf der Verhandlungen zwischen Kosovo und der EU (Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen und Europäische Reformagenda 2016) und dem Annäherungsprozess zwischen Kosovo und Serbien (Brüsseler Vereinbarung 2013 und nachfolgender Dialogprozess), aber auch von der inneren Verfassung Kosovos selbst ab.

Am 24. Februar 2017 trat das Gesetz zur Errichtung der kosovarischen Justizakademie in Kraft, mit dem das Kosovo-Justizinstitut abgelöst wurde. Im gleichen Monat organisierte dieses Projekt einen Studienaufenthalt für die Leiter der beiden Räte für Richter und Staatsanwälte, den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, den Generalstaatsanwalt, den geschäftsführenden Direktor der Justizakademie und andere führende Vertreterinnen und Vertreter der kosovarischen Justiz in Berlin und Brandenburg, um die Grundlagen der deutschen Justizaus- und fortbildung vorzustellen.

Seither konzentriert sich die Projektarbeit auf drei Schwerpunkte: Strategie- und Organisationsentwicklung der Akademie, Reform des Referendariats für die Richterschaft und Staatsanwaltschaft (Initial Training Program) sowie Entwurf eines Aus- und Fortbildungsprogramms für Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an Gerichten und Staatsanwaltschaften. Die Referendarausbildung ist noch immer sehr akademisch und hat zu wenig Praxisbezug.

Seit Mai 2017 werden in monatlichen Workshops und Runden Tischen mit Mitgliedern der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft die Grundlagen einer fallbasierten Ausbildung diskutiert und erprobt. Dazu werden konkrete Gerichtsakten aus Kosovo herangezogen, übersetzt, didaktisch umgeformt und in „Train-the-Trainer“-Seminaren als Übungsmaterial eingesetzt. Am Ende soll ein Trainingshandbuch stehen, das der jüngeren Generation von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten neue, praxisbezogenere Möglichkeiten der Aus- und Fortbildung an die Hand gibt.

EU-Twinning-Projekt: Strengthening policy formulation and legislative drafting

Dieses Twinning-Projekt hat die Unterstützung einer weiteren Annäherung der Republik Kosovo an den EU-Acquis zum übergeordneten Ziel.

Nachdem Ende 2016 die Auftaktveranstaltung stattfand und die organisatorischen und inhaltlichen Grundlagen für das Projekt in Pristina geschaffen wurden, konnte 2017 die inhaltliche Arbeit beginnen. So wurden verschiedene Aktivitäten umgesetzt, die den folgenden vier Komponenten zugeordnet sind:

  • Komponente 1 zielt auf die Verbesserung der Voraussetzungen für die Konzeption politischer Strategiepapiere im Justizministerium.
  • Mit der Komponente 2 werden Gesetzgebungsvorhaben unterstützt.
  • Komponente 3 setzt bei der Herausforderung an, verabschiedete Gesetze in die Praxis umzusetzen sowie eine effiziente und obligatorische Folgenabschätzung für Gesetzesvorhaben zu etablieren.
  • Unter Komponente 4 wird die interne und externe Kommunikation des Ministeriums bei der Konzeption von Strategiepapieren und Gesetzen untersucht und verbessert.

Zur Umsetzung dieser Komponenten wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten durchgeführt, in deren Mittelpunkt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums standen. Hierzu zählen unter anderem eine Studienreise einer kosovarischen Delegation zum Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen oder die Erstellung einer vergleichenden Analyse im Bereich der Justizreform und der strategischen Planung in der EU.

Ein wichtiger Bestandteil der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit des Projektteams in Pristina bestand in der Vernetzung und Abstimmung mit anderen Projekten vor Ort, um Überschneidungen zu vermeiden und Synergieeffekte zu erzeugen. Verzögert wurde die Projektumsetzung durch die Neuwahlen im Juni 2017, da es hiernach zunächst Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung gab.

Ausblick

Die Kooperationen mit den langjährigen Partnern der IRZ wie dem Justizministerium, dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht, den beiden Räten für Richter (KJC) und Staatsanwälte (KPC) und der kosovarischen Justizakademie sollen auch 2018 weiter fortgeführt und vertieft werden. Daneben werden die neuen Kooperationen mit dem KPC und im Bereich Jugendstraf- und Strafvollzugsrecht mit UNICEF Kosovo intensiviert werden und eine weitere Säule der Zusammenarbeit bilden. Hier sollen die bisherigen Kooperationen mit dem niedersächsischen Justizvollzug fortgeführt werden, um einen weiterhin intensiven, nachhaltigen und vertrauensvollen Austausch zu ermöglichen.

Die EU-Twinning-Projekte konzentrierten sich in 2018 auf die Bereiche der Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und juristischem Fachpersonal sowie auf die Beratung des Justizministeriums in Fragen der strategischen Ausrichtung, der Gesetzgebungsverfahren und der Öffentlichkeitsarbeit.