Kosovo – Jahresbericht 2020

Vollzugs- und Ausbildungspersonal der Justizvollzugsanstalt in Lipjan beim Online-Seminar zum Thema „Umgang mit drogensüchtigen Jugendlichen im Strafvollzug: Diagnostik, Planung und Behandlung“: Afrim Beqa (Tischende links), Leiter der Justizvollzugsanstalt Lipjan
Vollzugs- und Ausbildungspersonal der Justizvollzugsanstalt in Lipjan beim Online-Seminar zum Thema „Umgang mit drogensüchtigen Jugendlichen im Strafvollzug: Diagnostik, Planung und Behandlung“: Afrim Beqa (Tischende links), Leiter der Justizvollzugsanstalt Lipjan

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Das Jahr 2020 stellte Kosovo nicht nur aufgrund der weltweiten COVID19-Pandemie vor große Herausforderungen. Seit Inkrafttreten des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens im Jahr 2016 verfolgt Kosovo den Reformkurs mit dem Ziel einer EU-Mitgliedschaft. Dies wird allerdings sowohl durch außen- als auch innenpolitische Spannungen erschwert. Der Konflikt um die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien belastet den weiteren notwendigen Fortschritt aus außenpolitischer Sicht nach wie vor. Jedoch zeigte der von der EU geführte Vermittlungsdialog zwischen Serbien und Kosovo dieses Jahr insofern Wirkung, als Kosovo und Serbien die seit November 2018 stockenden direkten Gespräche wiederaufnahmen.

Die schwankende innenpolitische Lage wurde 2020 durch die Auswirkungen der Pandemie zusätzlich verstärkt. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen Ende 2019 einigten sich die stärkste Kraft, die linksnationalistische Bewegung „Vetëvendosje“ (Selbstbestimmung), und die zweitstärkste Partei im Parlament, die konservative Partei Demokratische Liga (LDK), auf eine Koalition. Kurz nach dem Ausbruch der COVID19-Pandemie stellte die LDK jedoch einen Misstrauensantrag gegen die gemeinsame Regierung und sorgte so für eine Regierungsauflösung. Auf die Durchführung von Neuwahlen, die zunächst wegen der Pandemie aufgeschoben waren, wurde schließlich verzichtet. Im Auftrag des damaligen Staatspräsidenten Hashim Thaci von der Partia Demokratike e Kosovës (PDK) schloss die LDK mit weiteren Parteien ein neues Regierungsbündnis; aktueller Regierungschef ist nun Avdullah Hoti von der LDK. Nachdem Präsident Hashim Thaci im November durch den Sonderankläger des Kosovo-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag angeklagt wurde, trat er zurück. Ihm wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg verübt zu haben.

Trotz dieser politischen Spannungen hält Kosovo am Reformkurs fest.

So konnte Ende 2020 auch ein umfangreiches EU-Grant-Projekt starten, das einen ganzheitlichen Beratungsansatz verfolgt und eine umfassende Reform des kosovarischen Justizsektors im Einklang mit europäischen und internationalen Standards zum Ziel hat.

Konzeption 

Seit vielen Jahren erfolgt die Zusammenarbeit mit Kosovo im Rahmen der Finanzierung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Auswärtige Amt sowie im Rahmen diverser EU-Projekte. Das Jahr 2020 stellte auch die IRZ aufgrund der COVID-19-Pandemie vor besondere Herausforderungen, da der intensive, direkte fachliche Austausch mittels Trainingsveranstaltungen und Arbeitsaufenthalten kosovarischer Partnerinstitutionen nicht wie gewohnt durchgeführt werden konnte. Jedoch ermöglichte das schnelle Umstellen auf digitale Formate eine Aufrechterhaltung der bisherigen Kooperationen mit allen Partnern.

Die Schwerpunkte der bilateralen Zusammenarbeit lagen im Bereich des Jugendstrafrechts, des Medienrechts sowie der Aus- und Weiterbildung. Im Rahmen dreier Veranstaltungen in verschiedenen Regionen fand ein Austausch zur Bewährungshilfe mit dem Schwerpunkt Jugendstrafrecht statt, an dem neben den Vertreterinnen und Vertretern des Bewährungshilfedienstes, der dem kosovarischen Justizministerium angegliedert ist, auch kosovarische Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte teilgenommen haben. In Zusammenarbeit mit der Strafvollzugsabteilung des Justizministeriums fanden zwei Fortbildungen zum Umgang mit Jugendlichen mit Drogensucht sowie psychischen Störungen statt.

Für den Kosovo Prosecutorial Council (KPC) wurde in Fortsetzung der Beratungen im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zusätzlich ein Handbuch zur Krisenkommunikation entwickelt.

Neben den Maßnahmen aus der bilateralen Zusammenarbeit implementiert die IRZ seit 2020 das Grant-Projekt zur Justizreform. Der Projektstart für das gewonnene EU-Twinning-Projekt zum Thema „Strengthening the Information and Privacy Agency in Kosovo“ wurde auf 2021 verschoben.

Tätigkeitsschwerpunkte 2020 

Rechtspflege 

  • Online-Seminar zur Öffentlichkeitsarbeit und Krisenkommunikation und Erarbeitung eines Handbuchs mit einem anschließenden Workshop

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Online-Seminar für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zum Umgang mit Jugendlichen im Strafverfahren
  • Drei Online-Rundtischgespräche zur sektorübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich der Bewährungshilfe für die Regionen Pristina, Prizren und Mitrovica
  • Zwei Online-Seminare in Zusammenarbeit mit der Strafvollzugsabteilung des kosovarischen Justizministeriums zum Umgang mit Jugendlichen mit Drogensucht und psychischen Störungen

Aus- und Fortbildung 

  • Vier Online-Weiterbildungen in Zusammenarbeit mit der kosovarischen Justizakademie, jeweils zu den Grundlagen des Europarechts, zur internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Cyberkriminalität und zum Thema der Geldwäsche

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte E

U-Grant-Projekt : „Kosovo Justice Sector Programme“ 

Im Oktober 2020 startete die IRZ das Projekt „Kosovo Justice Sector Programme“ und führt damit ein weiteres umfassendes EU-finanziertes Justizreformprogramm in einem Land des Westbalkans durch. Mit einem Projektvolumen von 7 Millionen Euro und einer Laufzeit von 40 Monaten reiht es sich in die großen EU-Vorhaben in der Region – wie etwa EURALIUS in Albanien – ein. Kooperationspartner sind das kroatische Justizministerium und das Center for International Legal Cooperation (CILC) aus den Niederlanden. Der Projektzuschlag erfolgte im Mai 2020, der Start des Projekts wurde pandemiebedingt auf den 1. Oktober 2020 festgelegt.

Übergeordnetes Ziel des Vorhabens ist die weitere Angleichung des kosovarischen Justizsystems an europäische und internationale Standards. Die zahlreichen Reformfortschritte, die Kosovo bisher bereits dank der Unterstützung zahlreicher internationaler Partner erreicht hat, stellen die Ausgangsbasis des Projekts dar. Es soll einen Rahmen bieten, um die weiteren nötigen Reformen besser zu koordinieren und vor allem eine effektivere Zusammenarbeit der verschiedenen Justizakteure in Kosovo zu erreichen. Neben der weiteren Stärkung und Fortbildung der juristischen Berufsgruppen und der Konsolidierung des kosovarischen Rechtsrahmens im Einklang mit dem EU Acquis zielt das Projekt auch auf einen erleichterten Zugang zur Justiz für alle Bevölkerungsgruppen Kosovos.

Das Projekt ist in vier Themenbereiche gegliedert und wird durch ein großes internationales Projektteam unter Leitung eines deutschen Rechtsanwalts umgesetzt. Im Rahmen der dreimonatigen Startphase galt es, das örtliche Projektpersonal für das Projekt zu gewinnen, die Projektinfrastruktur aufzubauen, Kontakt zu den Projektpartnern, Botschaften, anderen Geberorganisationen sowie laufenden Projekten zu etablieren und die Planung der Aktivitäten im Hinblick auf die aktuellen Gegebenheiten zu konkretisieren.

EU-Twinning-Projekt: „Strengthening the Information and Privacy Agency in Kosovo“

Vollzugs- und Ausbildungspersonal der Justizvollzugsanstalt in Lipjan beim Online-Seminar zum Thema „Umgang mit drogensüchtigen Jugendlichen im Strafvollzug: Diagnostik, Planung und Behandlung“: Afrim Beqa (Tischende links), Leiter der Justizvollzugsanstalt Lipjan

Penitentiary staff and trainees at the Lipjan Correctional Center attending the online seminar on “Dealing with drug-addicted juveniles in the enforcement system: diagnostics, planning and treatment”: Afrim Beqa (end of the table, on the left), Director of the Lipjan Correctional Center

Weiterhin verzögert hat sich der Beginn des Twinning-Projekts „Strengthening the Information and Privacy Agency in Kosovo“, für das die IRZ im November 2019 als Juniorpartner an der Seite des lettischen Justizministeriums den Zuschlag erhielt. Das Projekt, das bei einer Laufzeit von 30 Monaten mit einem Volumen von 2 Millionen Euro ausgestattet ist, soll dem Ausbau der Kapazitäten der kosovarischen Informations- und Datenschutzbehörde sowie der Verbesserung des öffentlichen Bewusstseins für den Datenschutz und des Zugangs zu öffentlichen Informationen dienen. Die Grundsätze der Twinning-Projekte sehen eine enge Zusammenarbeit der Projektbeteiligten durch eine tägliche Anwesenheit der Projektpartner aus dem Mitgliedstaat für die Dauer der Projektdurchführung vor, damit ein intensiver fachlicher Austausch mit den Expertinnen und Experten vor Ort gewährleistet werden kann. Da dies aufgrund der COVID-19-Pandemie im Berichtsjahr nicht möglich war, wurde der Beginn des Projekts auf das kommende Jahr verschoben.

Ausblick

Auch 2021 wird die IRZ in Kosovo einen flexiblen und auf die Bedürfnisse des Partnerstaats ausgerichteten Ansatz verfolgen und den etablierten intensiven und nachhaltigen Austausch mit den Partnerinstitutionen pflegen. Abhängig von der Entwicklung der COVID-19-Pandemie ist eine Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen geplant, um wichtige Partner – wie das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht – wieder stärker in die Kooperation einzubeziehen und Veranstaltungsformate, die auf dem persönlichen Austausch basieren, wieder aufzugreifen. Die Kooperationen mit den verschiedenen Abteilungen des kosovarischen Justizministeriums, dem Kosovo Prosecutorial Council (KPC), UNICEF Kosovo und der Justizakademie werden zur Vermeidung von Doppelungen und zum Zwecke der Verstärkung der gemeinsamen Wirkung in enger Abstimmung mit dem Grant-Projekt fortgeführt.